Valcambi gegen SWISSAID

Vorgeschichte

Am 16. Juli 2020 veröffentlichte SWISSAID eine Goldstudie mit dem Titel « Die Irrwege des Goldes. Die dunkle Seite des Goldhandels zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Schweiz ». Die Studie befasst sich mit dem Goldhandel zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und der Schweiz und brachte die Beziehungen der verschiedenen Firmen detailliert an die Öffentlichkeit. 

Die Studie beleuchtet unter anderem Geschäfte der Tessiner Raffinerie Valcambi, die der indischen Rajesh Export Group gehört. Valcambi ist nämlich Hauptimporteur von Gold aus den VAE in die Schweiz. Mit der Studie konnte SWISSAID aufgrund zahlreicher Belege, Zeugenaussagen und Recherchen in Dubai darlegen, dass Valcambi Gold von der Firma Kaloti bezieht. Zwischen 2018 und 2019 waren es 83 Tonnen Gold (im Wert von über 3 Milliarden Schweizer Franken), die von Kaloti und einer ihr nahestehenden Handelsgesellschaft T1FS stammten. Die Geschäftspraxis von Kaloti – einer international operierenden und aus den VAE stammenden Firma – ist in der Branche höchst umstritten.

So war Kaloti in Skandale mit illegalen Goldlieferungen und Geldwäscherei verwickelt und wurde deswegen vom Standard «des bonnes pratiques» in Dubai ausgeschlossen. Die Studie zeigte zudem, dass Kaloti auch nach diesen Skandalen weiterhin problematisches Gold bezogen hatte, insbesondere mutmasslich Konfliktgold aus dem Sudan.

Die SWISSAID-Studie führte zu vielen Reaktionen in der Branche: So kritisierte der Präsident des Edelmetallverbands ASFCMP Valcambi nach Publikation der Studie für ihre Geschäftspraxis. Er stellte öffentlich fest: «Der SWISSAID-Bericht zeigt Schwachstellen auf, die es zu beheben gilt, und wir stellen ihn nicht in Frage» (Le Temps, 04.08.2020).

Der CEO von Metalor, einer anderen grossen Schweizer Goldraffinerie, Antoine de Montmollin hat erklärt, dass bei Kaloti «die rote Fahne, ein roter Alarm» hoch geht. «Angesichts des Rufs von Kaloti würden wir niemals mit ihnen zusammenarbeiten» (24 heures, 23.09.2020). Die Schweizer Raffinerien und die ASFCMP haben von Valcambi eine öffentliche Verpflichtung zum Abbruch aller Beziehungen zu Kaloti gefordert – auch zu den Unternehmen, hinter deren Fassade Kaloti ihre geschäftliche Tätigkeit abwickelt (24 heures, 21.09.2020). Unter Druck sagte Valcambi in der Folge öffentlich, dass sie ihre Beziehung zu Kaloti gestoppt habe, gab aber keine Erklärung bezüglich der Handelsbeziehung zu T1FS ab. Ein Bericht der RTS-Sendung Mise au Point und ein Artikel der NZZ am Sonntag, im September 2023 erschienen sind, lassen jedoch Zweifel an Valcambis Aussagen aufkommen.

©SWISSAID

Klage

Obwohl Valcambi im Verlauf der Recherchen und vor Veröffentlichung der Studie Gelegenheit hatte, sich zu den Studienergebnissen zu äussern und die Quellen des Berichts im Internet eingesehen und überprüft werden können, beschloss die Raffinerie juristisch gegen SWISSAID vorzugehen, weil ihr Ruf mit der Studie geschädigt worden sei.

Zuerst forderte Valcambi SWISSAID unter Androhung einer Strafanzeige dazu auf, eine «Löschung oder Richtigstellung […] bis spätestens 30. Oktober 2020 zu bestätigen». Da SWISSAID keinen Grund sah, die Studie zu löschen, leitete Valcambi zwei Verfahren ein:

  • Im Oktober 2020 reichte Valcambi eine Strafantrag wegen unlauterem Wettbewerb (Herabsetzung) (Art. 3 par. 1 des Gesetzes über unlauteren Wettbewerb) gegen den Autor der Studie und gegen Unbekannt ein.

  • Gleichzeitig leitete Valcambi ein Schlichtungsverfahren mit SWISSAID ein. Da keine Einigung erzielt werden konnte, eröffnete Valcambi im Mai 2021 eine Zivilklage gegen SWISSAID und den Autor der Studie wegen Verletzung der Persönlichkeit und des Datenschutzes.

Die Hauptverhandlung im Zivilprozess war ursprünglich auf den 20. September 2023 angesetzt worden. Zwei Tage vor dem Termin, am 18. September 2023, wurde die Hauptverhandlung jedoch vom Richter abgesetzt. Grund dafür war, dass die Tessiner Raffinerie Valcambi, Klägerin, kurz vor dem Hauptverhandlungstermin eine Eingabe an das Gericht nicht korrekt eingereicht hatte.

Das Verfahren wird sich damit um weitere Monate verzögern. Es scheint unwahrscheinlich, dass die Hauptverhandlung noch in diesem Jahr durchgeführt werden kann

Das Strafverfahren ist vorübergehend suspendiert, bis die Zivilklage geklärt ist.

©SWISSAID

Zwischenfazit

Seit Valcambi die Klage eingereicht hat, sind bereits drei Jahre vergangen. In all der Zeit musste Swissaid erheblich personelle Ressourcen im Zusammenhang mit der Klage aufwenden, die entsprechend nicht für die inhaltliche Arbeit oder neue Studien zu Verfügung standen. Auch die finanziellen Kosten, unter anderem für den Anwalt, sind bereits beträchtlich – aber noch nicht abschliessend abschätzbar, je nachdem, wie lange Valcambi prozessieren möchte.

Wie bei SLAPP-Fällen üblich, möchte Valcambi SWISSAID und den Autor der Studie offenbar mit einem langjährigen Prozess blockieren, einschüchtern und zum Schweigen bringen.

Auch die «Coalition of SLAPPs in Europe» (CASE) hat die Klage von Valcambi gegen SWISSAID auf Grund folgender Argumente als SLAPP eingestuft:

  • Der Fall richtet sich gegen einen «public watchdog».

  • In Anbetracht der finanziellen Lage des Klägers und der ihm zur Verfügung stehenden Mittel scheint es einen erheblichen Mangel an Waffengleichheit zu geben.

  • SWISSAID hat sich vor der Veröffentlichung an das Unternehmen gewandt, das jedoch auf gutgläubige Bitten um eine Stellungnahme oder Klärung vor der Veröffentlichung nur teilweise geantwortet hat.

  • Die Massnahmen sind ungewöhnlich aggressiv oder unverhältnismässig.

  • Die Klagen richten sich nicht nur gegen die Organisation, sondern auch gegen Einzelpersonen.

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