Roche gegen Public Eye

Vorgeschichte

Im Dezember 2016 publizierte Public Eye gemeinsam mit holländischen und ägyptischen Partnerorganisationen einen 60-seitigen Bericht über klinische Versuche in Ägypten. In vielen Fällen wurden die internationalen ethischen Standards zu klinischen Versuchen verletzt – auch von den Schweizer Pharmamultis. Manche in Ägypten getestete Medikamente kamen dort gar nie auf den Markt, andere waren derart teuer, dass sie sich kaum jemand leisten konnte. Zudem war in vielen Fällen äusserst fraglich, ob die Testpersonen tatsächlich freiwillig oder nicht viel eher aus wirtschaftlicher Not an Versuchen teilnahmen. Mit dem Bericht forderten Public Eye und die Partnerorganisationen auch eine strengere staatliche Regulierung in Ägypten. Im Bericht wurde unter anderem eine Testperson portraitiert, die damals an einem Medikamententest für den Schweizer Pharmakonzern Roche teilnahm. Da sie keine Krankenversicherung hatte, war es für sie die einzige Möglichkeit, an lebensrettende Medikamente zu kommen. Sie berichtete, dass sie während der Behandlung enorme Schmerzen gehabt hätte. Die Fingernägel seien ausgefallen, an den Händen seien Verbrennungserscheinungen aufgetreten, sie habe Durchfall gehabt und an Inkontinenz gelitten.

Infusion an einer Hand

©Public Eye

 

Die Klage

Am 1. Dezember 2016 ging bei Public Eye eine superprovisorische Verfügung vom Regionalgericht Bern-Mittelland ein. Ein Roche-naher Basler Anwalt unterstellte Public Eye eine Persönlichkeitsverletzung und forderte, es sei der Organisation zu verbieten, im Bericht oder in Zusammenhang mit dem Bericht den Namen oder die Bilder der Testperson zu verwenden. Der Anwalt wurde gemäss dem Schreiben von der ägyptischen Testperson beauftragt. Das Regionalgericht Bern-Mittelland entschied gleichentags und unter Androhung einer Busse von 10`000 Franken, dass die Verwendung von Bild und Namen der Testperson untersagt sei. Innert einer Frist von 10 Tagen könne Public Eye Stellung nehmen zu den Vorwürfen. Die Zivilklage richtete sich gegen den Verein Public Eye sowie gegen zwei Mitarbeitende (den Autoren und den Herausgeber des Berichts). Public Eye entfernte den Namen der Patientin, anonymisierte deren Bilder und stellte den Bericht nach einem Tag wieder online. Aus der vollständigen Klageschrift wurde ersichtlich, dass die Patientin im November 2016 Besuch einer neunköpfigen Delegation von Roche erhalten hatte: Eine Vertreterin der Rechtsabteilung in Basel, Ärzt:innen und Geschäftsleitungsmitglieder von Roche Ägypten. Die Testperson hatte gleichentags eine Vollmacht zuhanden des Roche-nahen Basler Anwalts unterschrieben.

Das Brustkrebsmedikament Perjeta, das an der Patientin getestet wurde, wird in Kombination mit Herceptin eingenommen. Herceptin ist ein Verkaufsschlager, allein 2016 nahm Roche damit 6,8 Milliarden US-Dollar ein. Doch der Patentschutz für Herceptin war damals am Auslaufen – in Europa ist das Patent bereits 2014 abgelaufen, in den USA dürfen seit 2019 Generika des Medikaments hergestellt werden. Perjeta hätte die Gewinne ausgleichen können, die durch die ablaufenden Herceptin-Patente wegfielen. Aber nur dann, wenn aus den klinischen Versuchen hervorgegangen wäre, dass die medizinischen Vorteile des Medikaments signifikant sind und die Nebenwirkungen marginal. Die Testresultate von Perjeta hatten einen direkten Einfluss auf den Aktienkurs von Roche: Meldungen über Nebenwirkungen könnten sich verheerend auf das Geschäft auswirken.

Eine Person in einem weissen Kittel hantiert mit einem Infusionsschlauch.

©Public Eye

Das Urteil

Anfang Februar 2017 wies das Regionalgericht Bern-Mittelland die Klage vollumfänglich ab. Abschriften aus Tonaufnahmen und Bestätigungen der Journalistin und des Fotografen, die die Patientin für die Recherche besuchten, liessen es dem Gericht als genügend glaubhaft erscheinen, dass die Patientin eingewilligt hatte, mit Namen und Bilder im Bericht zu erscheinen. Das Gericht auferlegte die Gerichtskosten von 1400 Franken sowie eine Parteienentschädigung von knapp 6000 Franken der klagenden Partei, formal also der mittellosen Patientin. Roche behauptete gegenüber diversen Medien, das Unternehmen habe der Patientin keinerlei Anwaltskosten bezahlt. «Eine Privatperson» habe die Gerichtskosten vorgeschossen, sagte der Basler Anwalt der Westschweizer Zeitung «La Liberté». In einem Schreiben an Public Eye hielt der Anwalt zudem fest, seine Klientin würde das Urteil des Regionalgerichts Bern Mittelland nicht weiterziehen – «aus finanziellen Gründen».

Erst im März 2017 gelang es einem Mitglied der ägyptischen Partnerorganisation von Public Eye, die Patientin erneut zu kontaktieren. Sie sagte, sie habe nicht gewusst, dass in der Schweiz ein Anwalt in ihrem Namen aktiv geworden sei. Der Name des Anwalts sage ihr nichts. Sie erinnerte sich nur, dass sie ein Papier unterschrieb, das ihr Roche vorgelegt hatte. Für die ägyptische Partnerorganisation von Public Eye ist klar, dass die Testperson die Medikamente brauchte, die sie selbst nicht bezahlen konnte, und daher unter grossem Druck stand. Als die Patientin erfuhr, dass der Anwalt den Fall verloren hatte, habe sie besorgt gefragt, ob Roche nun aufhören würde, das Medikament zu liefern.

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